Körperbau der Libelle

Gekürztes Kapitel aus Sternberg & Buchwald (1999): Die Libellen Baden-Württembergs, Band 1 (© Ulmer Verlag, Stuttgart)

1. Die Larve

Die Larven von Kleinlibellen (siehe Abbildung links, mit Darstellung mit Zonen, in denen die Larve durch Sinneshaare ihre Beute orten kann) sind meist zierlich und wirken zerbrechlich; am Hinterleibsende tragen sie drei große Kiemenblättchen. Im Gegensatz dazu sind die Larven der Großlibellen sehr kräftig gebaut und wirken plump. Ihr Hinterleib ist unten deutlich abgeflacht und endet in einer fünfspitzigen sog. Analpyramide.

Kopf:

Die Augen der Larven sind deutlich kleiner als bei den Imagines. Generell besteht die Tendenz, dass visuell und aktiv jagende Larven relativ größere und symmetrisch-runde Augen besitzen als taktil und/oder vom Ansitz aus jagende Tiere, deren Augenform oft kegelförmig ausgebildet ist. So besitzen z.B. Larven der aktiv jagenden Aeshnidae im ersten Larvenstadium über 100 und im letzten Stadium bis zu 8000 Ommatidien. Larven anderer Gruppen mit nur sehr kleiner Ommatidienzahl nehmen ihre Beute überwiegend taktil wahr, wobei Sinnesborsten an den Fühlern und Beinen) zum Einsatz kommen.

Ein Libellenspezifikum ist die Fangmaske (siehe untenstehende Abbildung einer Großlibellenlarve). In Ruhestellung wird sie unter den Kopf und die Brust geklappt, zum Beutefang mit hoher Geschwindigkeit nach vorne geschnellt. Diese Bewegung wird größtenteils hydraulisch erzeugt, so dass sich die Fangmaske wie eine Kinderrollpfeife beim Aufblasen ausstreckt: Streckermuskeln in der Fangmaske unterstützen die Vorwärtsbewegung, gleichzeitig können sie Richtungskorrekturen vornehmen. Die Vorwärtbewegung dauert nur 100 – 200 Milisekunden.

Brust:

Auf dem Rücken erkennt man bei älteren Larven die vier Flügelanlagen, die kurz vor der Metamorphose bis über den Hinterrand des fünften Hinterleibsegments reichen.

Hinterleib:

Am Hinterleib der Libellenlarven fallen v.a. zwei Besonderheiten auf: Erstens bei Kleinlibellen die drei „Kiemenblättchen“ und bei Großlibellen die fünfspitzige „Analpyramide“; zweitens die Rücken- und Seitendornen vieler Großlibellenlarven. Kiemenblättchen vergrößern die atmungsaktive Körperoberfläche und unterstützen so die Atmung: bis zu 50 % des Sauerstoffbedarfs wird über die Kiemenblättchen gedeckt. Ferner übernehmen sie den Hauptvortrieb als „Ruder“-Blättchen, wenn die Larven mit schlängelnden Bewegungen ihres Hinterleibs durch das Wasser schwimmen. Bei den Großlibellen entsprechen die fünf Stacheln der Analpyramide den fünf Hinterleibsanhängen der Kleinlibellenlarven. Viele Großlibellenlarven besitzen kräftige abdominale Dornen auf dem Rücken und an den Seiten der letzten Segmente. Ihre Anzahl und Ausprägung (Länge, Krümmung) sind wichtige Bestimmungsmerkmale. Rückendornen findet man bei Larven die auf dem Substrat leben und Prädatoren exponiert sind. Häufig sind es auch Larven, die eine Ansitzjagd betreiben. Lateraldornen sind auffällig besonders bei aktiv jagenden, im Substrat eingegraben oder zwischen Pflanzen lebenden Arten entwickelt. Zusammen mit den Rückendornen wirken die Lateraldornen auch als Fraßschutz gegenüber Fischen.

Bei Großlibellen hat sich der Enddarm zu einem äußerst leistungsfähigen Respirationsorgan differenziert. Zum Gasaustausch wird mit Pumpbewegungen des Abdomens Wasser in das Darmlumen eingesaugt und wieder ausgestoßen. Wird das Wasser durch kräftige Kontraktion der abdominalen Dorsoventralmuskulatur unter hohem Druck ausgepresst, erzeugt der scharfe Wasserstrahl eine hohe Vortriebskraft und treibt die Libellenlarve wie eine „Rakete“ nach vorne; auf diese Weise kann die Großlibellen mehrere Meter im freien Wasser zurücklegen. Kleinlibellenlarven können dies nicht.

2. Die Imago (das „Vollinsekt“)

Der Libellenkörper (siehe oben stehende Abbildung) ist hochspezialisiert und bestens angepasst an das Leben als Lufträuber. Am Kopf fallen die riesigen Augen auf, die fast eine Rundumsicht erlauben; die massige Brust besteht fast nur aus kräftigen Flugmuskeln; die großflächigen Flügel erlauben bblitzschnelle Flugmanöver; die dornenbewehrten Beine sind optimal zum Fangen und Festhalten von Beute angepasst; der Hinterleib wirkt u.a. als Flugstabilisator, als Sonnenkollektor zur Wärmeaufnahme und als Wärmeaustauscher zur Wärmeabgabe.

Kopf:

Der extrem gut bewegliche Kopf wird dominiert von den großen Komplex- oder Facettenaugen. Bei allen Kleinlibellen sind sie weit voneinander getrennt und sitzen dem Kopf seitlich als Halbkugeln auf; bei den Großlibellen stoßen sie oben in der Kopfmitte zusammen, nur bei den Flussjungfern (Gomphidae) sind sie voneinander getrennt. Jedes der beiden Facettenaugen setzt sich bei Kleinlibellen jeweils aus bis 7.000 und bei den größten Arten der Großlibellen aus bis fast 30.000 Einzelaugen (Ommatidien) zusammen, die ein bienenwabenartiges Muster bilden. Bei Großlibellen ist das Auge in verschiedene, oft farblich abgesetzte Zonen aufgeteilt. Die guten Flieger unter den Libellen, wie Falkenlibellen (Corduliidae) und Edellibellen (Aeshnidae), weisen besonders viele Augenzonen auf; nur zwei Bereiche kann man dagegen bei den Libellen unterscheiden, die Ansitzjagd betreiben. Beim Facettenauge einer lebenden Libelle fallen die schwarzen Flecken oder Pseudopupillen auf. Bewegt sich das Auge relativ zum Betrachter, wandern diese Pseudopupillen über das Auge. Diese Pseudopupillen entstehen durch eine Gruppe von (annähernd) parallel angeordneten Ommatidien; betrachtet man sie entlang ihrer optischen Achse, absorbieren sie alles Licht und die Stelle erscheint schwarz. Die Pseudopupillen bilden also gewissermaßen den Bereich des Komplexauges ab, mit dem die Libelle den Beobachter unter dem jeweiligen Betrachtungswinkel ansieht. Zwischen den Antennen liegen, gewöhnlich auf einer Erhöhung (Vertex), die zu einem Dreieck angeordneten Ocellen („Stirnaugen“). Sie tragen vermutlich optisch zur Flugstabilisierung bei und helfen, ein „Schlingern“ des Libellenkörpers zu verhindern.

Die Fühler oder Antennen sind borstenförmig und immer sehr kurz. Mit den Fühlern nehmen Libellen Luftströmungen wahr und messen ihre Fluggeschwindigkeit. Die Mundwerkzeuge werden in Ruhestellung von der dreilappigen aber unpaaren Unterlippe (Labium) abgedeckt. Darunter befinden sich die paarigen Unterkiefer (Maxillen) und Mandibeln (Oberkiefer). Beim Fressen wird die Beute überwiegend mit den Maxillen festgehalten, während die kräftigen, mit spitzen Zähnen und scharfen Schneiden versehenen Mandibeln die Beute gründlich zerkleinern.

Brust:

Die Brust enthält die mächtige Flugmuskulatur. An den Brustseiten und auf der Oberseite der Mittelbrust liegt unterhalb der Kutikula ein mehrkammriges Luftkammersystem. Diese Luftsäcke schirmen die Flugmuskulatur thermisch nach außen ab. Dadurch, dass sie das Volumen der Libelle vergrößern, ohne das Gewicht zu erhöhen, verringern die Luftsäcke zugleich das spezifische Gewicht der Libelle und erleichtern das Fliegen, und zwar umso mehr, je stärker sich die Luft in den Luftsäcken erwärmt. Die Flugmuskeln setzen direkt an der Flügelbasis an (direkte Flugmuskulatur). Dadurch können beide Flügelpaare unabhängig voneinander bewegt werden, was den Libellen eine erstaunliche Manövrierfähigkeit ermöglicht. Bei den meisten anderen Insektenordnungen werden die Flügel hingegen durch Schwingungen des Tergums (Rückenplatte) indirekt bewegt.

Flügel:

Kennzeichnend für die Libellen sind unter anderem ihre langen, von einem dichten Adernetz durchzogenen Flügel, weshalb man sie früher zu den Neuroptera (Netzflüglern) zählte. Sie werden bei den Kleinlibellen über dem Rücken zusammengeklappt, bei den Großlibellen seitlich ausgestreckt. Die Flügel werden, besonders in der vorderen Hälfte, von einer Reihe sehr stabiler Längsadern durchzogen. Diese stabilen Flügeladern bilden das „Flügelgerippe“, zwischen dem die Flügel quasi aufgespannt werden. Ein mehr oder weniger dichtes Netz feiner Queradern verbindet die Längsadern und erhöht als Verstrebung die Gesamtstabilität des Flügels. Die eigentliche Flügelfläche wird durch zwei durchsichtige Kutikularmembranen gebildet, die sich von unten und oben über die Flügel legen. Zwischen diesen beiden Membranen kann ein feiner Hohlraum bestehen bleiben. Flügel der Libellen sind keinesfalls tote Gebilde, sondern stellen ein Röhrennetz dar, durch das die Hämolymphe („Blut“) zirkulieren kann. Färbungen der Flügelfläche können zur Kommunikation eingesetzt werden, was z. B. bei den Prachtlibellen (Calopteryx) besonders ausgeprägt ist.

Vorder- und Hinterflügel sind bei Kleinlibellen in Umriss und Aderung nahezu identisch, nicht aber bei den Großlibellen, wie auch deren wisenschaftlicher Name (Anisopteren = „Ungleichflügler“) ausdrückt. Nahe der Flügelspitze liegt das auffällige Flügelmal (Pterostigma), das aus einer Flügelzelle mit verdickten Kutikularmembranen gebildet und von verdickten Flügeladern umrahmt wird. Es hat wahrscheinlich aerodynamische Funktion und verhindert als Unwucht unkontrolliertes Flügelflattern. Sekundär dürfte es auch eine optische Funktion haben: es markiert, z.T. unterstützt duch auffällige Färbung, den (nahezu) äußeren Punkt des Flügels, so dass Libellen hre Flügelspannweite besser abschätzen könne, wenn sie z.B. zwischen eng stehenden Hindernissen hindurchmanövrieren.

Beine:

Die Beine entprechen dem Grundtyp eines Insektenbeins und gliedern sich in Hüfte (Coxa), Schenkelring (Trochanter), Schenkel (Femur), Schiene (Tibia) und den Fuß (Tarsus) mit zwei Krallen (Ungues). Die Beine sind nur noch bedingt zum Laufen geeignet. Tibien und Femura der Beine sind mit zwei Reihen spitzer Dornen besetzt, die bei vielen Kleinlibellen besonders lang sind. Beim Beutefang werden die Beine nach unten geklappt, wobei die Beine so gehalten werden, dass sie einen nach vorne geöffneten Fangkorb bilden. An den Tibien der Vorderbeine ist ein Putzapparat zum Reinigen der Augen ausgebildet.

Hinterleib (Abdomen):

Der im Vergleich zum massig wirkenden Thorax auffallend schlanke Hinterleib besteht aus 10 Segmenten; Reste eines 11. Segments finden sich als Anhänge wieder (vgl. unten). Der Hinterleib dient beim Flug als Flugstabilisator. Ein ausgedehntes, gekammertes Luftsacksystem erstreckt sich auch über die Rückenpartie des Abdomens. Es kann bei Libellula depressa (Plattbauch) fast 1/3 des Gesamtvolumens des Abdomens ausmachen. Das Hinterleibslumen wird im wesentlichen vom Darm und den Gonaden erfüllt. Das Abdomen trägt einige auffällige Anhängsel oder Anhangsorgane: die Hinterleibsanhänge am Abdomenende, bei den Männchen das sekundäre Kopulationsorgan auf der Bauchseite des 2. und 3. Segments, bei den Weibchen der Legeapparat. Am 10. Segment inserieren bei beiden Geschlechtern ein Paar obere Anhänge (Appendices superiores oder Cerci), bei männlichen Kleinlibellen zusätzlich ein Paar untere Anhänge (Appendices inferiores), die sich als Extremitäten eines 11. Segments homologisieren lassen; bei den Großlibellen findet sich ein unpaarer Anhang (Appendix inferior), der dem Tergit des 11. Segments entspricht. Diese Appendices dienen als Greifzangen, mit dem das Weibchen während der Paarung festgehalten wird. Die Hinterleibsanhänge sind artspezifisch ausgebildet und werden zur Bestimmung herangezogen. Bei Libellenmännchen unterscheidet man den primären und sekundären Kopulationsapparat. Ersterer entspricht dem Begattungsorgan anderer Insekten; er befindet sich auf dem 9. Segment. Der sekundäre Kopulationsapparat ist eine Sonderbildung der Libellen; er liegt auf der Unterseite des 2. und 3. Hinterleibsegments.Bei den Weibchen ist ein komplizierter Legeapparat („Legebohrer“) ausgebildet.

3. Körperfarbe

Libellen gehören zu den farbenprächtigsten Insekten unserer Fauna. Die Farbeffekte werden auf unterschiedliche Weise hervorgerufen:

Strukturfarben:

Hier unterscheidet man zwei Gruppen: Zu den Schillerfarben zählen alle Farben mit metallischem Glanz (blau, grün, bronzefarben). Diese Farben dünner „Plättchen“ werden durch Überlagerung (Interferenz) des Lichtes an Lamellen und anderen kutikulären Ultrafeinstrukturen erzeugt, wobei Abstand und Dicke der Lamellen die Farbe bestimmen. Da Schillerfarben auf Strukturen der toten Kutikula zurückzuführen sind, bleiben sie nach dem Tod des Tieres erhalten.

Die zweite Gruppe wird als Tyndall-Blau bezeichnet: Das leuchtende Azurblau vieler Coenagrioniden (Schlanklibellen) und Aeshniden (Edellibellen) wird in Epidermiszellen erzeugt. Durch den darüberliegenden, duchsichtigen Hautpanzer (Kutikula) hindurch kann Licht in die Epidermiszellen eindringen und ihre Farbe von außen wahrgenommen werden. In den Epidermiszellen befindet sich eine Suspension winzig kleiner Partikel vor einer schwarzen Pigmentschicht. Ähnlich wie beim Blau des Himmels entsteht der Farbeindruck dadurch, dass der kurzwellige (blaue) Anteil des einfallenden Lichts an den kleinen Partikeln stärker gestreut wird als das langwellige (rote) Licht und vor dem dunklen Pigmenthintergrund als Blau sichtbar wird. Mit dem Zerfall des Gewebes nach dem Tod der Libelle verliert sich auch der Tyndall-Effekt. Ohne spezielle Präparationsmethoden wird die Libelle daher innerhalb weniger Stunden bis Tage unansehnlich schwarzbraun.

Pigmentfarben:

Farbstoffe (Pigmente) absorbieren bestimmte Wellenlängenbereiche des einfallenden Lichts. Das Auge des Betrachters nimmt den Lichtanteil (Spektralbereich) als (Komplementär-)Farbe wahr, der nicht absorbiert wird. Da die Farbpigmente häufig im lebenden Gewebe liegen, werden sie mit dem Zerfall der Körperzellen nach dem Tod der Libelle ebenfalls zerstört, so dass tote Libellen ohne Spezialbehandlung rasch ihre Farben verlieren.

Wachsfarben:

Die graublaue „Bereifung“ findet sich in artspezifischer Ausprägung bei Männchen vieler Libellenarten. Nur geschlechtsreife Tiere haben eine Wachsbereifung. Sie wird, vermutlich durch Hormone gesteuert, über Kutikulaporen „ausgeschwitzt“ und kann, wie bei einer Pflaume, weggewischt werden. Die Färbung der Weibchen ist meist schlicht und unauffällig („kryptisch“): es überwiegen braune, gelbliche oder grünliche Farbtöne. Sie sind deutlich anders gefärbt als die adulten Männchen. Die Farbe der Weibchen verändert sich normalerweise während des gesamten Lebens nicht wesentlich und verdüstert sich mit dem Alter nur etwas.